Erinnerungen an die Isartalbahn
Franz Eigl, Münchner Lokführerorignial, war in seinen frühen Jahren auch als Heizer auf der Isartalbahn beschäftigt. Am 1. Dezember 1999 lies er für mich seine Erinnerung noch einmal wach werden.
Eine Geschichte von Franz Eigl, damals als Heizer frisch in den Rangierdienst gekommen. Zu dieser Zeit verkehrten in München im Rangierdienst noch zwei
GtL 4/4, die 98 867 in Pasing und die 98 823 in Mittersendling.
In den Dienstplan des Personals der letzten Münchner GtL 4/4, 98 867 in Pasing und die 98 823 in Mittersendling, war zur Abwechslung auch eine Schicht mit zwei Zugpaaren auf der Isartalbahn „eingebaut“. Vorgesehen war hierzu eine Lok der Baureihe 64. Bei dieser Dienstschicht war in Wolfratshausen, gleich nach der ersten Hinfahrt, eine Übernachtung eingeplant.
Mit meinem Planlokführer, einem älteren Herrn, kam ich ganz gut zurecht – er mit mir übrigens auch - , nur bei der Schicht nach Wolfratshausen hatte er Probleme mit der Streckenkenntnis, ich dagegen mit der 64er. Der erste Zug in dieser Richtung am Spätnachmittag war stets aus Donnerbüchsen gebildet und verlangte dem Personal alles ab.
Die Strecke steigt nämlich von München bis hinter Hohenschäftlarn stark an. Insbesondere jeweils hinter den Bahnhöfen und Haltepunkten. An einem Freitag im Mai 1958 meldeten wir zwei uns zum Dienst. Der Lokleiter hinter dem Fenster, der uns die Lok zuteilen mußte, machte ein sehr besorgtes Gesicht und erklärte uns, daß er heute keine 64er für uns habe. „Ihr müßt das Zugpaar 2856/2831 mit der 98 823 fahren, die kommt gerade vorzeitig vom Rangierdienst in Mittersendling ins Haus. Das schwere Loks nicht nach Wolfratshausen fahren dürfen, das wißt Ihr ja“, meinte er schulterzuckend, „Wolfratshausener Loisachbrücke ! Tut mir leid, ich hab nichts anderes für euch.“ Nun, wir kannten beide dieses Lokomotivchen vom Rangieren her recht gut, aber 210 t Zuglast am Freitagabend, und wahrscheinlich noch mehr wegen des um diese Zeit übervoll besetzten Zuges – da wurde es uns doch etwas mulmig in der Magengegend !
Wir schlichen, etwas bedrückt, zur Lok. Mein Lokführer meinte, „da müssen wir in Gottes Namen in Höllriegelskreuth Wasser fassen – die Zugkreuzung in Baierbrunn muß unbedingt verlegt werden, das ergibt dann zwanzig Minuten Verspätung !“ Er ließ mich schon einmal das Feuer aufbauen und ging zum Telefonieren. Als er zurückkam, war es auch schon höchste Zeit zum Ausrücken. Während der Fahrt zum Zug erklärte er mir, daß das mit dem Wassernehmen und der Kreuzungsverlegung und die Verspätung vom Lokdienst der Direktion akzeptiert worden sei. Begründung: Lokmangel.
Am Zug angekommen – großes Erstaunen wegen der kleinen Lok! Der Zugführer und einige Fahrgäste hielten uns für Witzbolde, aber als ich angekuppelt hatte und die Bremsprobe ausgeführt war, mußten sie wohl oder übel glauben, daß wir nicht scherzten, sondern mit der kleinen „Spielzeuglok“ wirklich den Zug fahren würden. Glücklicherweise war es an diesem Tag sehr warm, so daß wir wenigstens den Zug nicht auch noch Heizen mußten.
98 823 und ET 182 11 in Höllriegelkreuth-Grünwald, Juli 1950. Foto: Scheingraber (aus Schulze: Die Isartalbahn)
Pünktlich eine Minute vor Abfahrt ging das Ausfahrsignal auf Fahrt – das Zeichen für den Heizer, das Feuer letztmals vor der Fahrt zu kontrollieren. Bläser feste öffnen, damit die Überdruckventile kurz vor dem Abblasen sind. Abfahrt ! Innerhalb kürzester Frist hatten wir mit unserer Minilok die 45-km/h-Marke erreicht – die Höchstgeschwindigkeit. Wir hatten diese Marke bereits früher erreicht als mit einer 64er, nur konnten und durften wir jetzt nicht mehr schneller werden. Beim Haltepunkt München-Forstenriederstraße (heute Harras) waren wir gut in Fahrt – planmäßig fuhren wir durch – die Überdruckventile säuselten immer noch! Nur warum stand mein Vater nicht wie sonst mit seinem Fotoapparat am Fenster? Er hätte heute eine einmalige Aufnahme machen können ! Der erste Halt – München-Mittersendling – noch pünktlich ! Durch jeweils sehr rasches Anfahren auf trockenen Schienen blieb die Verspätung bis Höllriegelskreuth noch unter fünf Minuten. Wassernehmen – ich konnte dabei das Feuer, welches durch das scharfe Anfahren nicht mehr besonders gut war, wieder in Ordnung bringen. So ein kleiner Lokkessel ist nach wenigen Minuten Stillstand wieder auf Hochdruck, und also konnten wir, als der Gegenzug P 2857 eingetroffen war, im gleichen Stil weiterfahren; mit genau zwanzig Minuten Verspätung, die durch das Wassernehmen und die verlegte Zugkreuzung verursacht worden war, nicht jedoch aus Dampfmangel !
Bei der verspäteten Abfahrt in Höllriegelskreuth waren die Überdruckventile längst wieder unruhig. Kurz hinter Ebenhausen beginnt dann das Gefälle bis Icking; hinter Icking noch eine scharfe Anfahrt, und nach etwa einem Kilometer war alles geschafft. Mit geschlossenem Regler ging es das
33 %o-Gefälle hinunter nach Wolfratshausen. Dort trafen wir statt um 17.42 Uhr erst um 18.04 Uhr ein – gerade rechtzeitig, denn um diese Zeit sollte der P 2865 ab Wolfratshausen nach München abfahren. Wir beide waren froh, daß alles gutgegangen war, und stolz, daß wir mit einer GtL 4/4 einen so schweren Zug geschafft hatten. Auch im Nachhinein waren wir davon überzeugt, daß ohne Wassernehmen und die verlegte Zugkreuzung spätesten in Baierbrunn Dampfmangel aufgetreten wäre. Am nächsten Tag, nach der Übernachtung, Rückfahrt nach München. Der erste Zug am Samstagmorgen bestand aus fünf „Donnerbüchsen“ – das entsprach etwa 115 t. Ein solches Zuggewicht schaffte das Lokomotivchen leicht den Wolfratshausener Berg hinauf. Mein Lokführer wärmte die Zylinder so gut vor, so daß wir aus dem Stillstand heraus mit viel Schwung in die Steigung einfahren konnten. Die Zugheizung stellten wir hinter Icking ab. Der Zug war ja gut vorgeheizt. Der Kesseldruck ging zwar auf dem letzten Kilometer etwas zurück, so daß wir zuletzt nur noch 30 km/h fahren konnten, doch das passierte auch schon anderen Loks. In Icking kam mir die Zugkreuzung mit dem verspäteten Güterzug sehr gelegen. Der Druck im Kessel erholte sich rasch wieder, bis zum Steigungsende hinter Icking fuhren wir bereits wieder Höchstgeschwindigkeit. Unsere Verspätung, durch den Güterzug bedingt, betrug etwa sechs bis sieben Minuten. Sie wurde allerdings von Station zu Station mehr. Die Planloks der Reihe 64 fuhren, weil es ja bergab ging 60 km/h, zwischen München-Solln und München Hbf. sogar mit 90 km/h ! Also ein hoffnungsloser Kampf zwischen 98 823 und dem unerbittlichen Uhrzeiger. Als wir dann in Solln in die von Holzkirchen kommende Hauptstrecke einmündeten, stand dort vor dem Deckungssignal ein Eilzug, bespannt mit einer 78er, der uns passieren lassen mußte ! Das Personal dieser 100 km/h schnellen Lok schaute amüsiert zu uns herüber und tippte sich angesichts dieser „Spielzeug-eisenbahn“ kopfschüttelnd mit den Fingern an die Stirn. Als wir dann im Hauptbahnhof nebeneinander am Prellbock standen, wollten die beiden von der Eilzuglok nicht glauben, daß wir tatsächlich am Vorabend den Zug mit seinen neun Donnerbüchsen nach Wolfratshausen geschafft hatten.
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